Das Lexikon des Jacob Christoff Iselin
1726 bis 1727 erschien die erste Ausgabe des sogenannten Basler Lexikons von J.C.Iselin in 4 Foliobänden und befindet sich heute in einem gut erhaltenen, schönen Exemplar im Angebot des Tresor am Römer. Die Benutzung der Eigennamen-Enzyklopädie wurde anhand von einem Namen einseitig getestet und ergebnisreich beschrieben.
Stellen Sie sich vor, Sie haben das Verlangen die Sonette von Louise Labé zu lesen – vielleicht weil Sie verliebt sind, vermutlich weil der Frühling naht, auf jeden Fall aber, weil die Sonettdichtung der in Lyon geborenen zu der freizügigsten, zu der eindrucksvollsten, klangvollsten, raffiniertesten, kurz, zu der schönsten Liebeslyrik der Renaissance und darüber hinaus gehört. Es ist das Jahr 1727. Ihnen steht eine sehr seltene Ausgabe der Euvres de Louize Labé Lionnoize aus dem 16.Jahrhundert zur Verfügung. Seitdem, also bis zum Erscheinen des hier besprochenen Nachschlagewerkes, ward die Schreibkunst der Madame Labé nicht erneut gedruckt, geschweige denn in die deutsche Sprache übertragen worden. Küss mich noch einmal, küß mich wieder, küsse / mich ohne Ende. Diesen will ich schmecken,/ in dem will ich an deiner Glut erschrecken, / und vier für einen will ich, Überflüsse // … übersetzte Rilke viel später die liebestollen Verse … will ich dir wiedergeben. Warte, zehn / noch glühendere; bist du nun zufrieden? / O daß wir also, kaum mehr unterschieden,/ glückströmend ineinander übergehn.// Ob, fragt sich der Leser nun, die im deutschsprachigen Raum eher unbekannte Dichterin womöglich in dem neuen Lexikon von Herrn Iselin genannt wird?
Der Titel der Enzyklopädie ist – wie im Barock üblich – sehr umfangreich und möchte hier nur mit einem Ausschnitt Ermüdung versuchen zu vermeiden: „Neu-vermehrtes Historisch- und Geographisches Allgemeines Lexikon in welchem das Leben, die Thaten, und andere Merckwürdigkeiten der Patriarchen, Propheten, Apostel, Vätter der ersten Kirchen, Päbsten, Cardinälen, Bischöffen, Prälaten, vornehmer Gelehrten und anderer … berühmter Männern und Künstlern, nebst denen so genannten Ketzern; wie nicht weniger derer Kayser, Königen, Chur- und Fürsten, Grafen, grosser Herren, berühmter Kriegs-Helden und Ministern; …“ Es scheinen, so angekündigt, ausschließlich Herren erfasst zu sein, Helden auch – gewiss – sowie zahlreiche Kirchenmänner, die nicht dazu berufen wurden, um neben sich eine küssende und noch schlimmere Dame zu dulden. Mais voilà: Labe / (Louise) von Lyon lebte in dem 16 seculo, und wird mit unter die gelehrten Französischen Weibspersonen wegen ihrer „Le debat de folie et d'honneur“ [Der richtige Titel lautet „Le debat de folie et d'amour“] gerechnet. Sie war eines sehr munteren Geistes, und hielt überaus viel von gelehrten Leuten, die sie auch ihre unzüchtige Liebe umsonst genießen lassen, dahingegen vornehme Herren sie teuer bezahlen mussten. Bayle. Der Eintrag, überraschend aus unterschiedlichen Gründen, ist zwar nicht so ausführlich wie im 30 Jahre zuvor erschienenen Dictionnaire von Pierre Bayle, aber immerhin hat Iselin, der auch Theologe war, einer Dichterin mit dem Ruf einer Prostituierten sechs Zeilen eingeräumt. Franciscus Labata, unweit vor der moralisch suspekten Dame eingefügt und Jesuit aus Spanien, hat als Autor der Discursus morales schließlich nur drei Zeilen erhalten. Das war nicht verwunderlich im vorwiegend evangelisch reformierten Basel aber auch nicht selbstverständlich, da die Gesellschaft und der Buchmarkt noch stark durch religiöse und theologische Schriften geprägt war, nämlich ungefähr 40% bis 1735. Erwähnenswert ist auch die Nennung der Quellen, die die Einträge ergänzt haben. Diese Angaben waren zu damaliger Zeit nicht neu – Bayle hat die Quellen nicht nur angegeben, sondern zudem zitiert – aber auch nicht immer üblich. Zudem hat sich der Schweizer Lexikograph mit seinen Mitarbeitern mitunter um unterschiedliche Quellen für den einzelnen Eintrag bemüht und zahlreiche aus unterschiedlichen Gebieten benutzt, damit einseitige Beschreibungen vermieden wurden.
Dieses Lexikon aus der frühen Zeit der deutschen Lexikographie ist zugleich ein Zeugnis der Aufklärung und hat – diese Einschätzung ist zwar nicht geprüft aber ernsthaft zu vermuten – die Entwicklung der deutschsprachigen Gesellschaft, und dieser vor allem im südlichen Raum, beeinflusst. Doch fragen wir uns jetzt, ob wir auch über Personen aus anderen europäischen Ländern informiert werden. Sollte Europas Entführung durch den tollen Jupiter erwähnt sein? Ist der zu jener Zeit noch nicht in's Deutsche übertragene Shakespeare aufgenommen worden? Und die italienische Literatur? Könnten wir einen Hinweis zu den sehnsüchtigen Zeilen des Canzoniere an Laura von Francesco Petrarca finden? Ob der furiose Cavaliere Orlando im Eintrag des Autors Ludovico Ariost durch die Zeilen reitet? Werden wir bestätigt, dass Albertus III. tapfer, beredt, stark und groß war? Und die erst vor 25 Jahren verstorbene Mademoiselle de Scudery – ist sie bereits genannt? Hat Herr Iselin an den in Frankfurt am Main tätigen Matthäus Merian gedacht? Hat man sogar indische Städte beschrieben? Was bedeutet Zygantes? Und wieviele Zeilen mögen wohl der Venus gewidmet sein?
Es liegt nahe, dass das heutige Objekt des Monats mit Fragen endet, die Herr Iselin gerne bereit ist zu beantworten und dessen großzügig typografiertes Lexikon wir hiermit empfehlen möchten. (nn.seuss)
Literatur:
Bayle, Pierre, Dictionnaire historique et critique, Rotterdam 1694-1697
Boÿ, Charles, Oeuvres de Louise Labé, Paris 1887
Labé, Louize, Die vierundzwanzig Sonette. Übertr. Rainer Maria Rilke, Leipzig 1917
Wittmann, Reinhard, Geschichte des deutschen Buchhandels, München 1991
LEXIKA - ISELIN, Jacob Christoff. Neu-vermehrtes historisch- und geographisches allgemeines Lexicon, in welchem das Leben, die Thaten, und andere Merckwürdigkeiten der Patriarchen, Propheten, ....berühmter Krieges-helden und Ministern.... Und endlichen die Beschreibung derer Kayserthümern, Königreichen, Fürstenthümern.... zusammen gezogen. 4 Bände. Basel, Brandmüller, 1726-1727. Folio. Pergament der Zeit mit Rückentitel, (etwas fleckig, Ecken leicht bestossen, Rücken von Band 1 mit kleinem Einriss).
€ 1.200,00 VERKAUFT
Erste Ausgabe. - Zischka 4. - Umfassendes deutschsprachiges Lexikon, das auf der Grundlage von Bayle's berühmen "Dictionnaire historique et critique" herausgegeben wurde. Wird auch als das "Basler Lexikon" bezeichnet. Viele der Einträge beziehen sich auf die Schweiz und den süddeutschen Raum. - Erst mit der dritten Auflage 1742-1744 erschienen noch 2 Supplementbände. - Titelblätter mit altem Besitzstempel und Namen. Schönes Exemplar.