Der edle Held Theuerdank
1519 - vor 500 Jahren - starb Kaiser Maximilian I. und ein prächtiges Buch, das bereits 1517 gedruckt wurde, erschien in der Öffentlichkeit, welches beträchtlich zur Mythenbildung um die Person dieses gebildeten Herrschers beitrug. Heute bietet der Tresor am Römer die neugereimte Ausgabe des reich illustrierten Werkes an.
Das Buch Die Ehr und man(n)liche Thaten, Geschichten unnd Gefehrlichaitenn des Streitbaren Ritters, unnd Edlen Helden Tewerdanck erzählt in 118 Kapiteln, wie der Theuerdank genannte Held zu seiner zukünftigen Braut, dem Fräulein Ehrnreich, reitet. Auf dieser ohnehin gefährlichen Reise sind zudem die drei Hauptleute Fürwittig, der personifizierte Übermut, Unfalo, die Vermessenheit in Person und der missgünstige Neidelhart bestrebt, den zukünftigen Bräutigam an der Heirat zu hindern und bedienen sich, um ihr hinterlistiges Ziel zu erreichen, einem wilden Hirschen, einer gereizten Bärin, einem Wildschwein, einem sehr großen Polierstein, einem waghalsigen Gebirgspfad, einer glatten Eisfläche und anderen Widrigkeiten. Der Inhalt der einzelnen Kapitel, die Konzeption, ja sogar Vorzeichnungen für die Holzschnitte stammen vom Kaiser selbst, denn dieses Buch, das offensichtlich seinen Nachruf als mutigen und unbesiegbaren Ritter sichern konnte, sollte - so angewiesen - nach seinem Tod in 300 Papierexemplaren und 40 Exemplaren auf Pergament verteilt werden. 1517 wurde es in Augsburg bei Johann Schönsperger gedruckt, doch da der Kaiser - man glaubt es ungern - den Dienst nicht bezahlen konnte, produzierte der betrogene Drucker umgehend nach dem Ableben Maximilians 1519 einen Raubdruck, der zügig in den Handel gelangte.
Die Verse dieser ersten Ausgabe hat Melchior Pfintzing verfasst, nachdem Marx Treitsaurwein, persönlicher Sekretär des Kaisers, die Bearbeitung der Texte und Inhalte nach ebendiesem vorgenommen hatte. Man kann bereits an der Textentstehung erkennen, dass dem Habsburger dieses Projekt am Herzen lag. Der Text der hier vorliegenden Ausgabe aus dem Jahr 1553 ist von Burkard Waldis, evangelischer Pfarrer und Fabeldichter, sprachlich modernisiert worden. Christian Egenolff, Frankfurter Verleger von beachtlichen Werken wie der sogenannten Egenolffschen Bibel mit den Illustrationen von Hans Sebald Beham oder dem Teutschen Kräuterbuch von Adam Lonicer, ein Standardwerk der damaligen Zeit, hat die Neubearbeitung des Theuerdank beauftragt und schließlich mit den Originalholzstöcken der Holzschnitte drucken lassen und rettet so den mittelalterlichen Ritter in die neue Zeit. Im Vorwort dieser Ausgabe sah sich Waldis veranlasst, dem Leser die Gründe seiner Neubearbeitung mitzuteilen, nämlich das bisher leere Kapitel 117, das dem Aufbruch Theuerdanks zum Kreuzzug folgt sowie die Behäbigkeit der alten Reime, die nun in der Neuerscheinung auf dem Titelblatt als lustige Reime beschrieben werden. Sicherlich waren auch die Reformation und deren Vertreter, die sich auch in Frankfurt am Main durchsetzten konnten, bestrebt sich indirekt in literarischen Werken kundzutun. Ein Forschungsprojekt in Wien ist derzeitig damit befasst, die sprachlichen Unterschiede der drei Ausgaben aufzuspüren und so konnte bereits festgestellt werden, dass in der Waldis-Bearbeitung bei Sturm gerudert wird, um sich zu retten, während Pfintzing die Bedrohten auf Gott vertrauen lässt. An den Leser ist zudem in dem hier angebotenen Theuerdank der Schlüssel verraten worden, der in der ersten Ausgabe noch nicht direkt auffindbar war: Maximilian I. ist Theuerdank - und so wurde der Realität eine neue Legende geboren, während der Phantasie ein Held genommen worden ist.
Die Holzschnitte, immerhin 118 Stück, entstanden unter vielen Händen. Kaiser Maximilian hat Vorzeichnungen gemacht und ein Inhaltsverzeichnis anfertigen lassen, dem die drei Künstler Leonhard Beck, Hans Schäufelein, Hans Burgkmair und noch mindestens ein weiterer, unbekannt gebliebener Illustrator folgten. Jost de Negker setzte die Zeichnungen in Holzschnitte um und erst nachdem der ambitionierte Kaiser die Hälfte der Probedrucke korrigieren ließ, konnte die Auflage gedruckt werden. Es ist bekannt, welcher Künstler welche Illustrationen geschaffen hat und so kann man auch feststellen, dass Leonhard Beck mit 77 Stück den weitaus größten Anteil am bildnerischen Werk hat. Auf den ersten Blick wirken die Bilder stilistisch einheitlich, ist doch u.a. die detaillierte Darstellung der einzelnen Personen streng eingehalten worden. Betrachtet man das Bild Nr. 19, eines unter vielen besonders gelungenen, lässt die Bildsprache schnell auf eine unübersichtliche Situation schließen: Der Fürwittig, erkennbar an seinem großen Krempenhut, hat dem jungen und noch unerfahrenen Theuerdank zu einer Gefährlichkeit geraten. Der Wildschweineber - im Text eine Sau - erspäht in der Hand des eigentlichen Helden einen kurzen Degen - anstatt einer langen und sinnvolleren Saufeder! Natürlich möchte der neugierige Betrachter wissen, was passieren wird (ich werde es hier nicht verraten), denn Theuerdank, begleitet von dem treuen aber ewig herumstehenden Ehrenhold mit dem Glücksrad auf dem Überhang, steht mit zu kurzer Waffe dem gefährlich aussehendem Eber im Waldesgestrüpp gegenüber. Man belauert sich, dargestellt in einem variantenreichen Liniensortiment, das luftig schwungvolle Wolkenrundungen aufführt wie waagerechte Himmelsschraffuren, dichte rhythmische Tannennadellinien, leicht gekrümmte Schattenlagen, mittelstarke Umrisslinien, kurze struppige Eberfellstriche und wellige Ehrenholdhaarstränge.
Wer glaubt, es handele sich bei diesem Buch um einen Abenteuerroman für Jungs, der irrt. Auch Mädchen seien die 80 Aventüren empfohlen - “die den Theuerdank lesen und sich so einen Mann wünschen”, so jedenfalls hat es Adelheid in Goethes Götz von Berlichingen beobachtet. Heute im Jahr 2019 liegt mein Augenmerk auf das hübsch plissierte Röckchen über der Ritterrüstung und auf dem prächtigen Federbusch, der dem Helm des unbesiegbaren und gereiften Helden verführerisch zur Zierde dient. (nn.seuss)
Literatur:
Lübbecke, Fried, Fünfhundert Jahre Buch und Druck in Frankfurt am Main, Frankfurt a.M., 1948
Appuhn, Horst (Hrsg.), Theuerdank, 1517, Dortmund, 1979
Goethe, Wolfgang, Götz von Berlichingen, Stuttgart, 1958
Vom Privatdruck zum Bestseller. Die Druckgeschichte des Theuerdank. In: ac.at. www.univie.ac.at, abgerufen am 28. November 2018.
Vor 310 Jahren ist in Frankfurt am Main eines der wichtigsten Werke des Völker- und Naturrechts in deutscher Übersetzung erschienen. Heute bietet der Tresor am Römer ein Exemplar dieser seltenen Ausgabe an.
“Drey Bücher von Kriegs- und Friedens-Rechten” von Hugo Grotius
Sollten Sie - geneigter Leser - in Amsterdam oder in Delft eine ausgestellte Bücherkiste passieren, empfehle ich innezuhalten. Die eine - im Rijksmuseum - als auch die andere - im Museum Prinsenhof - wird als originale Boekenkist beschrieben, in der Hugo Grotius heimlich und unerkannt aus der Wasserburg Loevestein entfliehen konnte. Die Echtheit der Fluchtkisten ist derzeitig wohl nicht nachweisbar, aber es scheint sicher zu sein, dass die Drahtzieherin dieser gelungenen Befreiungsaktion die Ehefrau des bekannten Juristen war. Grotius, der in seinen juristischen Beurteilungen den Staat über die kirchliche Rechtsauffassung stellte, war 1619 von orthodoxen Calvinisten zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Zwei Jahre saß er im Wasserschloss und begann dort sein wohl wirksamstes Buch “De jure belli ac pacis” zu schreiben, beendete es in Paris und ließ es dort auch 1625 veröffentlichen. In der Vorrede seines Völker- und Naturrechts schrieb er listig: “Nicht kann zugegeben werden, daß kein Gott sey”, und führte mit “aber” fort. Häresie konnte man ihm so nicht vorwerfen, doch gemäß seiner Formulierung bestand die Möglichkeit, dass es doch keinen Gott geben könnte und so maß er mit dieser Finte dem Naturrecht eine stärkere Bedeutung bei. Demzufolge war die Rezeption im 17.Jahrhundert in Deutschland voller Ablehnung und Widerstände. Die Bedeutung dieses Werkes aber soll trotzdem, so beschreibt es M.Stolleis in seiner “Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland”, im 17.Jahrhundert nach dem 30jährigen Krieg groß, im 18.Jahrhundert noch gewachsen sein. Die Verbindung zwischen Scholastik, humanistischer Antike und politischer Bedürfnisse habe dieses Werk berühmt gemacht.
In Deutschland gab es bis in die 2.Hälfte des 19.Jahrhunderts nur wenige drei Übersetzungen, während im französischen und im englischen Sprachraum die Übersetzungstätigkeit um ein Mehrfaches häufiger war. Die 1. deutsche Übersetzung erschien 1707 in Leipzig mit einer Einleitung von C.Thomasius, der sich mit dem Thema des Naturrechts intensiv beschäftigt hat. Die 2. deutsche Übersetzung, nämlich die hier angebotene, folgte nur zwei Jahre später und umfasst sämtliche bis dahin erschienenen Erläuterungen von Gelehrten wie Samuel Pufendorf, Caspar Ziegler, Christian Thomasius, Johann Heinrich Boecler und vielen anderen. Von dem Übersetzer Johann Nicolaus Serlin, auf dem Titelblatt mit Monogramm angedeutet, ist wenig bekannt. Er war 1696 als Sekretär des Oberlandgerichts des Herzogtums Ehsten unter den Königen von Schweden (also Estland) angestellt und ist bereits 1710 an der Pest gestorben.
Deutsche Veröffentlichungen waren Anfang des 18.Jahrhunderts keine Seltenheit mehr, ganz im Gegenteil, im Jahr 1714 war der Anteil der deutsch- zu den lateinischsprachigen Schriften doppelt so hoch. R.Wittmann formulierte in seiner “Geschichte des deutschen Buchhandels” pointiert die Situation: “… der Rückgang der lateinischen Produktion signalisiert den Niedergang der Frankfurter Messen und den Aufstieg der national-deutschsprachig dominierten Leipziger Konkurrenz.” Tatsächlich war die Situation in Frankfurt schwierig. Infolge des spanischen Erbfolgekrieges bedrohten französische Truppen Frankfurt, der internationale Messehandel ging zurück und F.Lübbecke notierte den Zusammenbruch des Verlagswesens in der Stadt am Main zwischen 1680-1730. Nur zwei große Verleger, B.C. Wust und J.D. Zunner, konnten sich mit teilweise hohen Auflagen von Bibeln und Gesangbüchern halten. Umso erstaunlicher ist es, dass der unauffällige Drucker und Verleger Johann Bauer dieses aufwendige und immerhin mit Titelkupfer versehende Werk 1709 veröffentlichte. 13 Jahre zuvor hat er zusammen mit Zunner die lateinische Ausgabe von “De jure belli ac pacis” produziert. Doch das alleinige verlegerische Wagnis der deutschen Ausgabe, die “zu finden bey Notar. Fischern neben dem Schonburger Hof” war, hat er vermutlich mit einer kleinen Auflage begonnen. Es gibt Hinweise von Gelehrten aus dem 19.Jahrhundert, die die Seltenheit dieser Ausgabe bestätigen.
Hingewiesen werden soll an dieser Stelle auf das kräftig gedruckte und in üppig verzierter ovaler Kartusche präsentierte Porträt von Hugo Grotius sowie auf den Titelkupferstich, der in einer Mischung aus antiker und engelsreicher Bilderwelt dargestellt ist. Justitia urteilt vorurteilsfrei mit verbundenen Augen. Pax, mit einem Ölzweig und einem Füllhorn beladen, weicht vor Merkur und seinem Schwert zurück. Hinter und unter ihm im Schattenreich herrschten Tod und Verderben. Unbeeindruckt von all dem turteln zwei Täubchen zu Füßen der Gerechtigkeit und über der Szenerie befinden sich weder König Karl XII. von Schweden oder der längst verblichene Ludwig XIII., denen Grotius das Buch wortreich gewidmet hat, sondern entschlosse-ne himmlische Wesen verkünden Autor und Titel des Buches. Die Trennung zwischen Staat und Himmelsreich scheint fast 100 Jahre nach der Erstveröffentlichung des einflussreichen Rechtswerkes noch nicht gänzlich vollzogen zu sein. Die Herkunft des Künstlers Abraham Drentwett könnte hierfür verantwortlich sein, denn er entstam-mte einer Augsburger Dynastie von Gold- und Silberschmieden. Siegreich trium-phiert noch heute der Erzengel Michael auf dem Portal des Zeughauses, ein weiterer besiegt im Stundentakt im Perlachturm gekleidet mit güldenem Gewand den roten Teufel und im Erker eines Gebäudes der Fuggerei wird das Böse mit Schwert und einem Lächeln im zarten Gesicht des Engels niedergestreckt. Es wird sogar gemun-kelt, dass die unerschrockensten, furchtlosesten und vielleicht auch die gerechtesten Engel aus Augsburg kommen. (nn.seuss)
Literatur:
Lübbecke, Fried, Fünfhundert Jahre Buch und Druck in Frankfurt am Main, Frankfurt a.M., 1948
Paucker, J.A., Das estländische Landraths-Collegium und Oberlandesgericht, Reval, 1855
Pözl, J./ Windscheid, D. (Hrsg.), Kritische Vierteljahresschrift für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft, 13.Bd., München, 1871
Stintzing, R./Landsberg, E., Geschichte der Deutschen Rechtswissenschaft, München/Leipzig, 1898
Stolleis, Michael, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, München, 1988
Wittmann, Reinhard, Geschichte des deutschen Buchhandels, München, 1991
Frankfurt am Main, umgürtet und galant umtänzelt
Der Tresor am Römer stellt aus seinem umfangreichen Ange-
bot von Prospekten der Stadt Frankfurt am Main eine Aus-
wahl von einigen Kupferstichen vor, deren Vorbild bis Mitte
des 18.Jahrhunderts vor allem die Ansicht von Matthäus Merian
war. Auf den zweiten Blick lassen sich auf den Darstellungen
Gemeinsamkeiten und Unterschiede erkennen, die von der
schillernden Geschichte der Krönungs- und Messestadt erzäh-
len.
Endlich hat das Rokoko Frankfurts Stadtansicht gekapert. 1755. Junge Männer tummeln sich in Kniehosen und Justeaucorps auf Booten und kleinen Schiffen. Die Waden betont in engen Strümpfen, ein Bein ist lässig vorgestellt. Winzige Dreiecke, Dreispitze auf den Köpfen, tanzen über den Main. Lebhaft die drei Herren und die Dame in dem Ruderboot, etwas Wind setzt das Wasser in Bewegung. Die Figürchen sind zwar winzig auf dem über 1 Meter breitem Kupferstich, aber die angedeutete Galanterie lockert das mittelalterliche wehrhafte Stadtbild wirksam auf. Die große Ansicht von Frankfurt am Main wurde bislang nicht in solch lebhafter Stimmung gezeigt.
Über 130 Jahre früher - um 1618 - hat Matthäus Merian der Ältere einen ähnlichen Prospekt in Kupfer gestochen. Er zeigt den Main unter dunklen Pulverwolken - nach links und nach rechts wird scharf geschossen, als würde der 30jährige Krieg angekündigt. Immer wieder wurde Merians Ansicht von anderen Zeichnern und Stechern bis in die Mitte des 18.Jahrhunderts übernommen, meist leicht abgeändert, aber auch komplett, abgesehen von Details, kopiert, wie der Buchhändler Pieter van der Aa aus Leiden demonstrierte. Für seine “Galérie agréable du monde”, die er seit 1729 herausgab, ließ er in dem Mammutwerk neben 4000 Landkarten, Plänen, Illustrationen und Ansichten auch frech die Kopie nach Merians berühmter Stadtansicht in nur einer Auflage von 100 Stück drucken. Zwei Exemplare, davon eines koloriert, können im Tresor am Römer betrachtet werden. Tatsächlich veränderte sich auch wenig im 17.Jahrhundert am Stadtbild - bis auf die Erweiterung durch die schützende Wehranlage. Der damals erfolgreiche Baumeister Dilich ist mit der Konstruktion, deren Bau sich bis Ende des Jahrhunderts hinzog, beauftragt gewesen. Ein zusätzlicher Graben, ein Wall und 11 Bollwerke mit jeweils fünf Ecken schützten fortan Frankfurts Bürger. Die Darstellung von Pieter van der Aa war demnach nicht zeitgemäß und würdigte in einem kräftigen Druck von drei Platten einen nostalgischen Blick auf die Stadt.
1755 wurde in Augsburg der Zeichner J.F. Saur beauftragt, eine Gesamtansicht von Frankfurt zu zeichnen - einleitend sind bereits die Figurinen dieses Stiches beschrieben worden. Der Verleger Georg Balthasar Probst, der vor allem bekannt war für seine qualitätsvollen Guckkastenbilder, bot den imposanten Kupferstich in einer eindrucksvollen Breite von 104,5 cm an. Der Zeichner, der ab 1754 für Probst arbeitete und über den es nur wenig Informationen gibt, orientierte sich an einem mit umfassender und aufklärender Legende ausgestatteten Frankfurt-Prospekt von J.C. Haf(f)ner, der um 1740 gedruckt worden ist. Die erweiterten Befestigungsanlagen im Vordergrund links erregen beim Betrachten Aufmerksamkeit, doch Saur verkleinert auf seiner Zeichnung den Dom und verzerrt die Perspektive so, dass die Schutzanlagen noch größer wirken. Zugleich tändeln auf eindrucksvollen und massiven Schutzanlagen Stadtbewohner umher. Und der Zeichner stellt weitere Gegensätze her: die moderne, klare Architektur der Befestigungsanlagen vor dem kleinteiligen Gewimmel der mittelalterlichen Häuser; helle und dunkle Partien verstärken die Spannung und die bereits erwähnten galant anmutenden Rokokofigürchen wirken vor der mittelalterlichen Architektur anachronistisch.
Es mag kein Zufall sein, dass zwischen 1742 und 1755 die Gesamtansicht Frankfurts wieder auflebte, denn 1742 gab es ein außergewöhnliches Ereignis in der Geschichte der Stadt. Es wurde zwar, wie gewohnt, in Frankfurt der gewählte Kaiser begleitet von aufwendigen Festlichkeiten gekrönt, doch aufgrund des Österreichischen Erbfolgekrieges musste Karl VII. in der Stadt am Main bleiben und bis 1745 von hier aus regieren; ebenso ansässig waren zu jener Zeit der Reichstag und der Reichshofrat. Frankfurt ist somit, wenn auch nur kurzzeitig, von der Messe- und Krönungsstadt zur Regierungsstadt des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation aufgestiegen und beherbergte diplomatische Gesandte und Reichshofräte. Diese damals Nachklang auslösende Belebung scheint auch in den virtuos ausgeführten Kreuz- und Linienschraffuren Widerhall zu finden.
Gleichzeitig und bereits früher entwickelte sich auch in Frankfurt eine neue Art des Stadtporträts, die hier wenigstens kurze Erwähnung finden soll. Salomon Kleiner zeichnete einzelne Bauwerke und Plätze im Innern der Stadt. 1726 die alte, 1738 die neue Hauptwache, die eines der wenigen damals modernen Bauwerke verkörperte. Auch der jüngst wieder auf- und nachgebaute Hühnermarkt mit quirligem Marktgeschehen und dem Domturm im Hintergrund wurde von Kleiner dargestellt und – in scharfen exakten Linien von G.D.Heumann gestochen - in „Das Florirende Frankfurt“ aufgenommen.
Abschließend will ich mit der Lupe in der Hand eine kleine Eskapade wagen und auf einige von den Zeichnern aus sicherlich begründeten Überlegungen heraus eingefügte Vierbeiner hinweisen. Auf der Ansicht aus dem ungefähren Jahr 1618 von Matthäus Merian dem Älteren läuft der Hund dem Ackerochsen und dem Bauer voran, auf der Kopie von Pieter van der Aa von 1729 findet hingegen der Hund keine Beachtung, der Hühnermarkt von Kleiner aus dem Jahr 1738 ist ebenso hundefrei, bei J.C. Haf(f)ner wird 1740 ein Hund mit einer langen Peitsche abgerichtet und in dem sogenannten Probst-Blatt von 1755 stolziert der Hund den Flaneuren voran. Hundeliebhaberei? Oder Hinweise auf die soziale Bedeutung des Hundes in Frankfurt am Main? (nn.seuss)
Als der Roman „To the Lighthouse“ am 5.Mai 1927 erschien, war die englische Autorin Virginia Woolf vor nervöser Erwartung hin- und hergerissen.
Es war der vierte Roman und ihr Gesundheitszustand war zu jener Zeit so labil - ein „Nervenzusammenbruch en miniature“ -, dass sie den Schreibprozess für zwei Monate unterbrechen musste. Ihre schwankende Psyche äußerte sich – wir können es in ihren Briefen, Tagebuchaufzeichnungen und den Biographien nachlesen – in Verunsicherungen und Selbstzweifeln – trotz zügiger Schreibphasen und obwohl ihr Mann Leonard Woolf den frisch beendeten Roman als Meisterwerk bezeichnet hatte. Ihrer Freundin Vita Sackville-West schickte sie ein Buch mit der selbstbewussten Widmung „Meiner Meinung nach der beste Roman, den ich je geschrieben habe“, doch in einem späteren Brief an ihre „geliebte Vita“ gesteht sie die Schwankungen in ihren Einschätzungen sowie ihre Erleichterung über das überaus positive Urteil der beeindruckten Freundin – schließlich war diese auch Schriftstellerin. Auch gegenüber Freund Charles Sanger, der Schwester Vanessa Bell, dem befreundeten Maler Roger Fry fielen belastende Steine von ihrer Seele – sie alle waren begeistert. Glücklicherweise wurde der vielschichtige und neuartige Roman auch von der Kritik einhellig als meisterlich beurteilt – bis auf wenige korrigierende Hinweise, die sich auf Saatkrähen, Ulmen und Dahlien beziehen, da der Lebensraum auf den Hybriden für sie ungeeignet sei.
Dort nämlich, auf der Hebrideninsel Skye, steht das Sommerhaus der Romanfamilie, aus dessen Leben Virginia Woolf im 1.Teil „The Window“ und im 3.Teil „The Lighthouse“ jeweils einen Tag beschreibt. Im Mittelteil „The Time passes“ verfällt im Laufe von 10 Jahren das Haus und die Hauptfigur Mrs.Ramsey und zwei ihrer Kinder sterben. Der Text überrascht den Leser mit einem ständigen Wechsel von Assoziationen, Projektionen und Wahrnehmungen zwischen den inneren Monologen von Mrs. Ramsey und der mit ihr befreundeten Malerin sowie der Außenwelt. Dieser Rhythmus, den man sich auch in Form eines Dreiecks vorstellen kann, taucht auf dem Rücken des hier angebotenen Exemplars wieder auf. Der Buchbinder hat ein Kleid für „To the Lighthouse“ gefunden, das in Material und Ornamentik formal eigenständig und einfühlend zum Lesen einlädt, die Essenz durch ein Bild nach außen wiedergibt: sich wiederholende Dreiecke, ein Meer vielleicht, in dessen Mitte ein Lichtsymbol, ein Leuchtturm, die Sonne ruht. „Stil ist eine einfache Sache“, hat Virginia Woolf an Vita Sackville-West geschrieben, „nichts als Rhythmus. […] Das was Rhythmus ist, ist wirklich sehr tiefgründig, und geht viel tiefer als Worte […].“ Der Buchbinder, so könnte man meinen, hat dieser Schreibauffassung eine adäquate Form zu geben beabsichtigt.
Ein kurzes Zitat aus einem Brief an ihre Vertraute Vita sei noch gestattet, um die Buchbeschreibung zu beenden: „Jetzt muss ich wieder einen ganzen Nachmittag vergeuden und in Läden reinste Todesqualen ausstehen, um einen Hut zu kaufen. […] ich kann Dir nicht sagen, wie intensiv meine Unglückseligkeit war, wie ich die Nacht hochfuhr und die Hände rang, alles weil ich zum Dinner ausgehen, und einen Hut kaufen, und Jacques Blanche [Maler und Freund von Marcel Proust] treffen musste! […].“ Die Quälereien, die man in Kaufhäusern und in Umkleidekabinen ertragen muss, kennt wohl jeder. Deswegen kaufen und verkaufen wir ja auch lieber Bücher und würden uns über ihren Besuch im Antiquariat Tresor am Römer freuen, ohne Menschenmassen und ohne Kabinenspiegel. (nns.)
Literatur:
Bell, Quentin, Virginia Woolf, Frankfurt a.M., 1977
Woolf, Leonard, Mein Leben mit Virginia, Frankfurt, 2003
Woolf, Virginia, Schreiben für die eigenen Augen, Frankfurt, 2012
Woolf, Virginia, Briefe, Frankfurt, 2006
Sebastian Münster und die italienische Ausgabe seiner Cosmographia
Der Tresor am Römer hat diesen Monat eine außerge-
wöhnliche Ausgabe der bekannten Cosmographia von Sebastian Münster im Angebot. Die italienische Ausgabe, die in dieser Vollständigkeit sehr selten ist und eine interessante Publikationsgeschichte vorzuweisen hat, präsentiert trotz eines doppelt abgesicherten Zensurvorganges den Tanz dreier splitternackter und frohlockender Sibyllen.
Die Cosmographia zeigt uns die Welt, wie sie Mitte des 16. Jahrhunderts gesehen wurde. Sebastian Münster schrieb, beauftragte, sammelte und redigierte Texte über Dörfer, Städte, Landschaften, Länder, Inseln, Kontinente und deren Be- und Einwohner, Menschen und Tiere, Götter und Fabelwesen, Sitten und Gebräuche, Geschichte und geographische Beschaffenheiten, Einfüßler und Kopflose. 20 Jahre hat der damals in Basel lebende Gelehrte mit aufklärerischem Willen an der ersten Ausgabe dieses einmaligen Buches gearbeitet und ließ dieses - reich mit Holzschnitten ausgestattet - 1544 bei Heinrich Petri, seinem Stiefsohn, drucken und veröffentlichen. Beinahe jedes Jahr erschien das umfangreiche und wohl gut verkäufliche Werk, bald auch in erweiterten Ausgaben, so dass es 1628 in der letzten Baseler Veröffentlichung circa 1800 Seiten stark und mit fast 100 doppelseitigen und 1500 teils ganzseitigen teils kleineren Holzschnitten illustriert war. Es sollen über 70.000 Exemplare gedruckt worden sein - davon erschienen 27 Auflagen in deutscher Sprache. Neben lateinischen, französischen, englischen und einer tschechischen Ausgabe gab es auch drei italienische, derer eine zensiert wurde, den Namen eines Kölner Verlages auf dem Titelblatt trägt, und von der wir heute ein Exemplar auf diesem Weg empfehlen wollen.
Justament in dem blutgefärbten Jahr 1572 nahmen sich die gut organisierten katholischen Zensoren in Antwerpen die lateinische Ausgabe der Cosmographia für eine Säuberungsaktion vor, um die Weltgeschichte von ihnen unpassend erscheinenden Ereignissen und Andersgläubigen zu reinigen. Die Abneigung gegen Calvin war so groß, dass sein Name konsequent entfernt wurde, der Betrug eines römischen Papstes getilgt, ebenso sollte die Löschung einer päpstlichen Tyrannei das Werk von Sebastian Münster neben circa 50 weiteren zensierten Stellen, mitunter seitenlang, für die katholischen Länder und Städte lesebereit machen. Fleissig und gewissenhaft anerkannten die kaiserlichen Zensoren ebenfalls die in Venedig von hiesigen Kollegen zensierte Ausgabe, nämlich die italienische. Die drei Zensurvermerke, die nur die hier angebotene Ausgabe enthält, versichern sodann, dass es sich um eine mehrfach gereinigte und geprüfte Ausgabe handelt. An dieser Stelle gibt es überraschende Verbindungen innerhalb der Gelehrtenwelt, denn zwei dieser Vermerke hat Arias Montanus unterschrieben. Er leitete über Jahre die aufwendige Herausgabe der fünfsprachigen Biblia Regia in Antwerpen und war eng befreundet mit dem Verleger der Bibel, Christoph Plantin, sowie mit Abraham Ortelius, dem berühmten aus Antwerpen stammenden Kartographen.
Drei Jahre nach der 1572 erschienen lateinischen und zensierten Ausgabe veröffentlichte ein Kölner Verlag die italienische und zensierte Cosmographia universale. Hans H.J. Horch, der die italienischen Ausgaben unter die Lupe genommen hat, konnte nachweisen, dass der Kölner Verlag Birckmann die Restbestände der ersten italienischen Ausgabe von 1558 übernommen hatte (welche wahrscheinlich bei Heinrich Petri und nicht, wie auf dem Titelblatt angegeben, bei F.Thomasini erschienen ist) und, dass die Seiten, die von der Zensur betroffen waren, neu gesetzt und gedruckt worden sind. Diese lassen sich heute durch ihre bräunliche Färbung und den kleineren Schriftgrad deutlich erkennen. Unser Exemplar verfügt über die Seiten 371/372, die, wie der Wissenschaftler feststellen konnte, in dieser Ausgabe häufig aufgrund der zensurbedingten neuen Zusammenstellung der Lagen verloren gegangen sind.
Der international tätige Verlag Birckmann, der auch in Antwerpen und in London eine Filiale unterhielt, hat die Handelsbeziehungen zwischen Köln und Venedig genutzt und konnte in der Buchstadt Venedig, als auch in Mailand, Rom, Florenz, Bologna Neapel, Turin und anderen größeren Orten auf Abnehmer für die italienischsprachige Cosmographia hoffen. Da die italienische Sprache die lateinische selbst aus Bereichen wie Geschichte, Theologie, Recht, Geographie und natürlich der Literatur immer stärker verdrängte (das bekannte venezianische Verlagshaus Giolito hat nur 5% ihres wie oben angegebenen Programmes in Latein publiziert), waren wohl auch gebildete und wissenschaftlich orientierte Käufer interessiert. Die rhythmisch geordneten Ansichten von Rom, Florenz und Venedig, sowie die plakative Darstellung der Theater-Arena von Verona hatten möglicherweise auch für die Italiener einen besonderen Reiz, wie auch die vielen unbekannten Länder und Kontinente, als auch Merkwürdigkeiten wie das Krakauer Monster oder der Abbildung eines Menschen mit einem Hundekopf, den man meinte in Asien entdeckt zu haben.
Einen sinnlichen Reiz hat der Holzschnitt mit den drei Sibyllen, die auf Seite 174 lebenslustig und freizügig den Betrachter des Buches erfreuen, seit es die Ausgabe von 1550 gibt. Der Künstler, der die nicht nur motivisch sondern auch stilistisch gelungene Darstellung geschaffen hat, ist uns leider namentlich nicht bekannt. Sicher aber ist, dass die Darstellungen einer nackten Sibylle in der Kunstgeschichte unüblich war, wenn nicht gar unbekannt. Hier sehen wir also drei Wonneproppen, die neckisch wie Amor, selbstbewusst wie Venus und bestückt wie ein wohlgenährtes Bauernweib ihre Weissagungen kundtun. Die Zensoren, weder die venezianischen noch die spanischen, scheinen an dem prallen Hintern, den vollen Brüsten und der vorgestreckten Scham Anstoß genommen zu haben. Hier dürfen wir vermuten, dass die Inquisition sich eine menschliche Regung gestattet hat und anstatt den tilgenden Federkiel zu führen, einen tiefen Blick in die entzückenden Sibyllen-Äuglein wagte. Auch wir können uns an den drei Weissagerinnen erfreuen, die sich in Zeiten von hasserfüllten Glaubenskriegen in ihrer lebensbejahenden Natürlichkeit dargeboten haben und sich bis heute so fleischlich unkonventionell zeigen. (nns.)
Literatur:
Albus, Anita, Paradies und Paradox, Frankfurt a.M., 2002
Horch, Hans J.W., “Bibliographische Notizen zu den Ausgaben der ‘Kosmographie’ Sebastian Münsters in italienischer Sprache” in: „Gutenberg Jahrbuch“, 1976
Santoro, Marco, Geschichte des Buchhandels in Italien, Wiesbaden, 2003
Stumpfe, Wolfger, Sibyllendarstellung im Italien der frühen Neuzeit, Trier, 2005
Wessel, Günther, Von einem, der daheim blieb, die Welt zu entdecken, Frankfurt a.M., 2004
Wittmann, Reinhard, Geschichte des deutschen Buchhandels, München, 1991.
Christian Strobel danken wir für den uns zur Verfügung gestellten Text.
Sein dunkler voluminöser Talar schimmert samtig im faltigen Auf und Ab des kostbaren Stoffes. Aus dem Umhang schaut eine Hand hervor, die gleichermaßen empfängt und weist und in gewisser Elegance gehalten wird. Zwei exotische Muschelschalen, ein in sein Schicksal ergebener Fisch und eine exotische Pflanze liegen aufgereiht vor dem Naturwissenschaftler, der mit der linken Hand ein Buch hält. Zu vermuten wäre im Hintergrund ein drapierter Stoff in einer Studierstube. Üblich wäre auch ein Bücherregal oder eine Fensteröffnung zu jener Zeit gewesen. Aber der hier dargestellte Johannes Jacobus Scheuchzer, bekleidet mit professoralem Talar und bedeckt mit einer modischen Perücke, blickt mit getragenem wissenschaftlichem Ernst aus einer alpinen Berglandschaft heraus und muss so zumindest ungewöhnlich auf seine Zeitgenossen gewirkt haben. Der Farbteint des in Mezzotinto gefertigten Druckes ist der Technik gemäß vorwiegend in dunklen Halbtönen gehalten und verleiht diesen einen verführerisch tiefen und samtenen Grundton. Die Technik der Schabkunst wurde vor allem in England verwendet und war um 1730 in Augsburg zwar nicht mehr neu aber für deutsche Verhältnisse außergewöhnlich.
Exorbitant, wenn nicht gar gewaltig war ja auch das Buchprojekt des Schweizer Mediziners Johannes Jacobus Scheuchzer, das er zusammen mit dem Verleger Johann Andreas Pfeffel aus Augsburg bewältigte. Die Physika Sacra erläutert und erklärt auf über 2000 Seiten und mit 758 Kupfertafeln die naturwissenschaftlichen Aspekte der Heiligen Schrift, um so einen Gottesbeweis zu erbringen. Läuse, Käfer, ein Nilpferd, Fossilien, Pflanzen, auch Bauwerke, Szenerien der Sitten und Gebräuche, das Sonnensystem, die wundersame Erdentstehung folgen dem scheuchzerischen System in aufwendig gestalteten Illustrationen für die der Künstler Johann Melchior Füßli die Vorzeichnungen anfertigte, Johann Daniel Preisler die mit reicher Ornamentik, allerlei Tierchen und anderen Figurinen verzierten Schmuckrahmen zeichnete und schließlich 26 Kupferstecher die Kupferplatten bearbeiteten. Die anfänglich angekündigte Anzahl von 400 Kupfertafeln wuchs im Laufe der Zeit auf 758 an und so musste der Verleger auch den in der Vorankündigung genannten Subskriptionspreis von 40 auf 75 Gulden anheben. Der enorme Anstieg des bereits hohen Preises löste dann auch einigen Protest bei den Pränumeranten aus. (Als vager Preisvergleich kann das 1705 in Amsterdam erschienene Werk Metamorphosis Insectorum Surinamensium von Maria Sibylla Merian dienen, das mit 60 Kupfertafeln 15 Gulden in der Subskription kosten sollte. 1708-1714 mussten Käufer 18 Gulden für die 2 Bände mit 250 Kupfertafeln der Nürnbergischen Hesperiden von J.C.Volckamer zahlen.) Der Druck der umfangreichen vier Foliobände hat letztendlich fast vier Jahre gedauert.
Es ist interessant, dass von der deutschen und der lateinischen Ausgabe jeweils 500 Exemplare gedruckt wurden, denn bislang wurde bei wissenschaftlichen und theologischen Veröffentlichungen die lateinische Sprache bevorzugt. Der Verleger konsultierte u.a. einen Kollegen, der eine deutsche Ausgabe empfahl, die ebenso von Beamten und Kaufleuten lesbar sei. Ein Interessent bestätigte diese Einschätzung, indem er auf die Neugierde seiner Frau und seiner Tochter hinwies, die nur durch eine vorliegende deutsche Ausgabe gestillt werden könne. Doch gab es auch Gelehrte, die der lateinischen Sprache den Vorzug gaben und so entschied sich Johann Andreas Pfeffel für zwei Ausgaben. In einem Brief beklagte der Verleger jedoch einen schleppenden Absatz der lateinischen Übertragung. Folglich muss der Verkauf der deutschen Ausgabe besser verlaufen sein und man kann die Vermutung wagen, dass die Käuferschaft zwar dem besser verdienenden aber nicht dem humanistisch gebildeten Bürgertum angehörte.
Es gibt viele Lebewesen in diesem Werk, die in ihrer Darstellung Interesse hervorrufen, doch besonders illustrativ erscheint das Fliegende Eichhorn, das uns in Band 3 entgegenspringt. Es hat große dunkle Augen mit langen Wimpern und kleinen Ohren. Lange Zähne und Krallen an den kleinen Fingerchen beweisen, dass das possierliche Tierchen nicht ganz ungefährlich ist. Der gesamte Körper mit den Flughäuten ist mit Fell bewachsen und wahrscheinlich versucht es den Betrachter mit weit auseinandergerissenen Gliedmaßen zu erschrecken. In Jesaia Cap.2 Vers 10 werden den Maulwürfen und den Fledermäusen silberne und güldene Götzen hingeworfen und ist demzufolge für Johannes Jacobus Scheuchzer Anlass genug auch über das fliegende Eichhorn, der Fledermaus ähnlich, zu schreiben. Er zitiert neben Conrad Gessners Historia animalium, das das erste wissenschaftliche, zoologische Werk der Renaissance war (s.a. unten im Angebot des Tresor am Römer), auch seinen Freund Heinrich Sperling aus London, der über das Tierchen zu berichten weiss, dass es Winterschlaf hält. Weitere Wissenschaftler werden aneinander gereiht, sowie Zeugen von der russischen Grenze, die berichtet haben wollen, dass das fliegende Säugetier Brot ohne Salz isst, dazu Birkenspitzen, Mandeln jedoch ablehnt. Fröhlich endet die ausführliche naturwissenschaftliche Betrachtung des fliegenden Eichhorns mit einem Spruch, der auch hier Anwendung finden soll, um den wissensdurstigen Leser zu einem Lächeln zu verführen und, um den Tresor am Römer in heiterer Erinnerung zu wissen. „Wenn diese Seltenheit ein Wissensfreunde liest, der danke, dass sein Bild von besserer Schönheit ist.“ (nns.)
Literatur:
Müsch, Irmgard, Geheiligte Naturwissenschaft: die Kupfer-Bibel des Johann J. Scheuchzer, Göttingen, 2000
Wettengl, Kurt (Hrsg.), Maria Sibylla Merian, Ostfildern, 1997
Wimmer, C.A., “Funktion und Bedeutung von Volkamers Zitrusbuch” in: „Nürnbergische Hesperiden und Orangenkultur in Franken“, Petersberg, 2011
Wittmann, Reinhard, Geschichte des deutschen Buchhandels, München, 1991
Über zwei berühmte Frankfurter und eine unbekannte Dame
Seit 1816 war sie die “Freie Stadt Frankfurt”. Das neue Selbstbewusstsein des Bürgertums äußerte sich auch in Veröffentlichungen wie “Ansichten von Frankfurt am Main und seiner Umgegend” von Anton Kirchner in deren zwei Bänden auch ein Stadt- und Umlandpanorama aus 25 einzelnen Ansichten des Künstlers Anton Radl entstanden ist. Im Gewand zweier zeitgenössischer Ledereinbände empfiehlt sich der Titel heute im Angebot des Frankfurter Antiquariats “Tresor am Römer”.
Der Englische Hof am Rossmarkt! Acht Amphoren krönen das ausgewogene Antlitz des Hotels. Die Flächen mit wenig Dekor und zarten Reliefs, nur ein Balkon befindet sich an diesem Gebäude über der Rundbogeneinfahrt. Das Hotel der gehobenen Klasse ist zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieser Abbildung erst 20 Jahre alt und gehört zum Beginn der klassizistischen Ära Frankfurter Bauens, die schließlich 1809 als offizielle Bauform angekündigt wurde. Die elegant flanierende Dame im bodenlangen Kleid, geschnürt direkt unter dem Busen, aufregend und federleicht geschmückt auf dem Kopf, ist ganz à la mode. Sie kommt zumindest aus England, wenn nicht gar aus dem modeführenden Paris. Ein Hotelgast des Englischen Hofes, vermutlich. Diese Frau von Welt hat das neue Zentrum Frankfurts - wir befinden uns im Jahre 1818 - für ihre Promenade gewählt. Empfehlenswert wäre ein Besuch der neuen Städelschen Kunstsammlung direkt am Platz, die Dienstag und Freitag nachmittags oder am Sonntag-Vormittag für das Publikum geöffnet ist. Zuvor sollte eines der vielgelobten Restaurants aufgesucht werden, vielleicht gleich jenes schräg gegenüber im Hotel Weidenbusch, um reichhaltig zu dinieren. Der Himmel ist stellenweise bewölkt, doch die Sonne scheint bereits hell um 11.35 Uhr - ja, so genau und fein wurde hier gezeichnet und gestochen, dass die Kirchturmuhr der Katharinenkirche zu erkennen ist. Im Schatten befindet sich die flache Fassade des Palais de Neufville und des Hauses Lutteroth, das erst kurz vor der Buchveröffentlichung, 1817, fertiggestellt wurde. Der Baumeister dieser drei abgebildeten Gebäude, der Franzose Salins von Monfort, war - so liest man mitunter - ein Glücksfall für das Formgepräge klassizistischer Bauwerkskunst und dem hiesigen ganz besonderen Stil, der sich in feiner Einfachheit und schlichter Eleganz, gut dosiert mit Erweiterungen des Empirestils, entwickeln konnte. Der Rossmarkt war um 1818 nicht nur der schönste freie Platz in Frankfurt - so jedenfalls beschrieb ihn der Autor der “Ansichten von Frankfurt am Main und seiner Umgegend” Anton Kirchner -, sondern er war damals auch ein ganz moderner Platz, der das klassizistische Frankfurt präsentierte.
Wie bei der Darstellung des Rossmarktes hat der Künstler Anton Radl bei der “Zeile” eine neue Ansicht gewagt und zeichnete die Gebäude des Zeilbeginns mit der Hauptwache im Rücken. Die Frau im Fenster des damaligen Hotels Weidenhof zu linker Hand mag einen ersten Hinweis zu des Künstlers Entscheidung geben. Nachdem man weiss, dass der Weidenhof, das alt ehrwürdige Hotel, das einst unter dem Großvater von Johann Wolfgang florierte und nach dessen Tode von Herrn Vogelhuber, nämlich dem Vater der Frau des Verlegers dieser “Ansichten von Frankfurt am Main und seiner Umgegend” erworben wurde, meint man, dass die Frau im Fenster besagten Familienbesitzes, ein wenig frech und frohgelaunt zu dem gegenüberliegenden Gebäude hinüberschaut. Dieses nämlich beherbergte zu jener Zeit die Buchhandlung des Verlages der Gebrüder Wilmans - so jedenfalls beschreibt Fried Lübbecke die Immobiliensituation der Familie. Diese private Note blieb in den sachlichen Beschreibungen von Anton Kirchner unerwähnt. Der evangelische Pfarrer und Historiker widmete sich neben der ausführlich beschriebenen Geschichte auch der Gegenwart, die sich, verursacht durch die starken Veränderungen in der jüngeren Vergangenheit, in steter Bewegung befand. Die bürgerliche Tradition stets betonend, sammelte er ausführliche Informationen über die Stiftung der Städelschen Kunstsammlung, verwendete konkrete Zahlen wie die der ansässigen Buchhandlungen (15!) oder detaillierte Beschreibungen zum Reglement der Lesegesellschaft, die sich im Casinogebäude am Rossmarkt befand. Hingegen wurde der bei vielen kritisierte Vorsitz des Bundestages durch die Österreicher im Palais Thurn und Taxis nur in einem Satz kurz erwähnt, während er den Einfluss der zahlreichen Diplomaten, die die deutschen Fürsten vertraten und sich nun zahlreich in Frankfurt rumtrieben, in einem eigenen Kapitel thematisierte. Die Missachtung der Österreicher ist auffällig und erklärt auch den vaterländischen Ton, der auf eine Sympathie mit der deutschen Einheitsbewegung hinweisen möge. Der 15 Jahre ältere Friedrich Wilmans war Verleger der Romantiker Clemens Brentano, Ludwig Tieck, Friedrich Schlegel und Friedrich Hölderlin und wusste sein Programm mit Reiseberichten, moralischen Unterhaltungsbücher, Volkssagen, auch mit einigen Rittergeschichten von Schriftstellerinnen empfindsam in Szene gesetzt, Werken zur Geschichte und - als Antwort auf den erstarkenden Rheintourismus - groß- und kleinformatige Rheinansichten in Kupferstich und Aquatintatechnik zu erweitern.
Seit 1807 arbeitete der Künstler und Stecher Anton Radl, der zuvor 13 Jahre bei dem auf Aquatintastich spezialisierten J.G. Prestel tätig war, für den Verlag Wilmans. Er begann dort als Reproduktionsstecher für die Ortsansichten am Rhein. Die “Ansicht von Wellmich” ist eines der großformatigen Aquatinta-Blätter, das der “Tresor am Römer” zu seinem Angebot zählt. Die Aquatinta ist ein Reproduktionsverfahren, das Anton Radl in der Frankfurter Werkstatt von seinem Meister Prestel erlernt hat. Dieser ist wohl als bekanntester damaliger deutscher Stecher dieser neuen Technik zu nennen, die es erlaubte, größere Flächen in einheitlichen Grautönen wiederzugeben.
2008 erschien ein Katalog über die Arbeiten des damals hoch geachteten Frankfurter Künstler Anton Radl, in der sich auch die großformatige Ansicht von “Schlangenbad” befindet und in der die Schönheit der Natur gefeiert wird. Radls Helden sind die Bäume, buschig und prächtig, mitunter auch mit spärlichem Bewuchs, ungepflegt und schief gewachsen, mit verkrüppelten Astärmchen, beharrlich am Hang wachsend oder auch gerade und stabil, eigenständig und erhaben. Der Hinweis in “Ansichten von Frankfurt am Main und seiner Umgegend”, dass der Künstler die Zeichnungen nach der Natur angefertigt hat, lässt daran erinnern, dass diese Arbeitsweise nicht selbstverständlich war und betont die Authentizität von Radls Arbeiten. Bis in die Mitte des 19.Jahrhunderts sind seine Ansichten wie der Rossmarkt und die Zeil kopiert worden und haben das Bild Frankfurts, der “Freien Stadt Frankfurt”, geprägt. 200 Jahre sind sie jetzt alt und werden interessiert wahrgenommen, angeregt besprochen, intensiv betrachtet und liebhaberisch gesammelt. (nns.)
KIRCHNER, Anton. Ansichten von Frankfurt am Main der umliegenden Gegend und den benachbarten Heilquellen.[Drucktitel]. 2 Bde. Frankfurt, Gebr. Wilmans, 1818. Gr.-8°. 6 nn. Bl., 376 S.; 11 nn., 1 w. Bl., 283 S., mit 2 gestochenen Titeln, 1 gefalteten Tabelle und 25 Kupfertafeln. Leder der Zeit mit Rückenschild, (berieben, Einbände restauriert). 2.400,00
Erste Ausgabe. - Demandt I, 774; Sauer 247. - Erste illustrierte Stadtbeschreibung, die auch das Umland mit einbezieht. Mit den berühmten Ansichten von Frankfurt und Umgebung, die nach Vorlagen von Anton Radl gestochen wurden. - Enthält 12 Gesamt- und Teilansichten von Frankfurt (Zeil, Rossmarkt, Römerberg), Ansichten von Bergen, Bornheim, Hausen, Offenbach, Kronberg, Königstein, Wilhelmsbad, Bad Soden, Wiesbaden, Schwalbach usw. - Ohne den nicht allen Exemplaren beigegebenen Plan. - Wie meist etwas stockfleckig.
Literatur:
Vogt, Günther, Frankfurter Bürgerhäuser des 19.Jahrhunderts, Frankfurt a.M., 1970
Lübbecke, Fried, Fünfhundert Jahre Buch und Druck in Frankfurt am Main, Frankfurt a.M., 1948
Kunstlandschaft Rhein-Main, Malerei im 19.Jahrhundert 1806-1866, Frankfurt a.M., 2000
Anton Radl (1774-1852) - Maler und Kupferstecher, Frankfurt a.M., 2008
Die schwarz-gelb gestreifte Raupe Gottes
Maria Sibylla Merian, geboren 1647 in Frankfurt, starb vor 300 Jahren in Amsterdam. Ihre naturwissenschaftlich orientierte Kunst erfreut sich heute einer auffälligen Renaissance. Bei Betrachtung der “Maniokpflanze mit Larve, Raupe und Falter des Frangipani-Schwärmers, sowie einer Amazonas-Baumboa” folgt man der eigen- und gottessinnigen Künstlerin in ihrem von genauer Beobachtungsgabe gebildeten Kosmos
Roter Kragen, schwarz gepunktet, roter Kopf mit fünf spitzen Zähnchen, der Körper schwarz-gelb gestreift, acht rote kurze Beinchen und das Hinterteil wiederum rot mit einer dornigen Klaue. Die angefressenen gelbgrünen Blätter biegen sich in einem vollendeten Bogen unter der Last der ewig knabbernden Raupe. Dieses eigentlich unansehnliche Raupentier erfreut sich heute, umrissen in sorgfältigen Kupferstichlinien und auf seiner Lieblingspflanze nimmersatt präsentiert, einem erneuten Interesse. 312 Jahre nachdem das stetig kauende Geschöpf dem Publikum präsentiert wurde, wird es in zahlreichen Katalogen, Faksimiledrucken, Biographien, auf Postkarten, Einkaufsbeuteln, Bleistiften und Notizblöcken reproduziert, in Ausstellungen - momentan im Frankfurter Städel - und mitunter auch in Antiquariaten auf handkolorierten Kupferstichen den vielen Interessierten dargeboten. Es ist als hätte die Faszination für das Werk der Maria Sibylla Merian einen neuen Höhepunkt erreicht.
Tatsächlich bietet der Formen- und Farbenklang dieser merianschen Raupe, die erst schleimig schlüpfend, dann rücksichtslos fressend und schließlich nach einer ebenfalls unattraktiven Verpuppung ein Schmetterling oder Falter wird, genügend Anreize, um sie mit einer edlen Goldleiste umrahmt in private oder repräsentative Räume zu hängen. Der glückliche Besitzer der Tafel 5 aus der “Metamorphosis insectorum Surinamensium”, dem letzten großen Werk der in Frankfurt als Tochter des berühmten Matthäus Merian geborenen Maria Sibylla, wird sich an dem attraktiven Stich in vielerlei Hinsicht erfreuen können, denn die Verwandlungen der Insekten in ihrem Lebensraum Surinam verführen zu einer tieferen Beschäftigung der Zusammenhänge, wobei das ästhetische Raffinement und naturwissenschaftliche Bemühen nicht übersehen werden können. Kurz: der Weg zu einer Liebhaberei ist geöffnet.
Treten wir ein in den Kosmos, der den Kreislauf der Verwandlung, der Vergänglichkeit eines Lebewesens zeigt und folgen wir dem barocken Schwung der amazonischen Baumboa und der verführerischen Musterung ihrer Hautoberfläche, die bis zu ihrem gemeinen, ein wenig starren Auge führt. Dieses hat es auf eine ahnungslose Buckelzikade abgesehen, die auf der Erdoberfläche und über einer etwas unförmigen Maniokknolle sitzt. Deren Großflächigkeit gibt den Details der purpurfarbenden Puppe und den zart gepunkteten Eierschalen Raum zur Entfaltung. Die Szenerie gewinnt durch die auffällige Raupe an Lebendigkeit, durch den Fraß an den Blättern an Dramatik und beruhigt sich an dem wundersamen Linien- und Lichtspiel der Flügel des fliegenden Schwärmers. Als Aperçu wird dem Zuschauer ein kunstvoll gerollter Rüssel geboten, der in Form eines Notenschlüssels endet. Auf diese Weise fügt die Künstlerin ein musikalisches Element ein, das den bildlichen Genuss um ein Schwingen zu erweitern vermag. So könnte man sich noch lange in der Vielfalt tummeln und vielleicht in Betrachtung der schutzlosen Buckelzikade und der Endlichkeit des einzelnen Lebewesens dem Vanitasgedanken nachgehen.
Die Eier, die ganz offensichtlich der Schlange zuzuordnen sind, lassen heute schmunzeln, wissen wir doch, dass das lange Kriechtier zu den lebendgebärenden gehört. Und dieser Falter - so lässt es uns eine Fachfrau wissen - gehört nicht zu der Raupe und ihrer Puppe. Doch stellen wir uns vor, wie Maria Sibylla Merian all die Raupen in Surinam großgezogen hat - denn sie hat die Verwandlungen selbst beobachtet und in Zeichnungen festgehalten. Die Situation in dem damals weitgehenst unzivilisierten Land war natürlich abenteuerlich für eine 54 Jahre alte Frau, die allein mit ihrer Tochter Dorothea die Reise gewagt hat. Sie hatten zu kämpfen mit extrem hoher Luftfeuchtigkeit, Malariamücken, Regenzeit, Giftschlangen und Skorpionen sowie aggressiven Ameisenvölkern. Die Raupen hatten größtenteils Giftborsten, das Haus, das sie bezogen, war Wohn- und Zuchtraum zugleich. Nach zwei Jahren wurde die Europäerin schwer krank und musste den Aufenthalt abbrechen. Angesichts dieser widrigen Umstände sollten wir den verwechselten Falter mit Großmut betrachten. Trotz der Fehler, die Merian unterlaufen sind, gilt sie bei Fachleuten als Pionierin der Entomologie, hat sie doch beharrlich die Metamorphosen der Insekten mit ihren Futterpflanzen - also in einem damals neuen Zusammenhang - gezeigt. Diesen Weg hat die gläubige Pietistin Merian gefunden, um die Schöpfung Gottes zu lobpreisen und um sich so dem Schöpfer zu nähern.
In den Dosen, die sie aus Surinam mitbrachte, befanden sich Krokodile, Schlangen, große und kleine, Schildkröten und auch ein Gecko, haltbar eingelegt in Terpentinöl. In Amsterdam, Stadt der Universitäten, der Sammelleidenschaftlichen, der Naturwissenschaftler, der wohlhabenden Patrizier, des Exotika-Imports sah sie Möglichkeiten ihre Metamorphoses in Bildern und Worten, holländischen und lateinischen, zu verwirklichen und zu verkaufen, mit Hilfe von drei Kupferstechern und Caspar Commelin, dem naturwissenschaftlichen Kommentator. Im Jahre 1705 war es dann möglich, entweder die einfache unkolorierte Ausgabe für 18 Gulden oder die kolorierte Ausgabe für 45 Gulden mit jeweils 60 Tafeln in Amsterdam zu erwerben. 50 Jahre zuvor bezog ein Professor 500 Gulden Jahresgehalt. Da sich die wirtschaftliche Situation in den Niederlanden seitdem verschlechtert hatte, ist zu vermuten, dass sich der Gelehrte eine handkolorierte Ausgabe nicht leisten konnte, sondern eher der wohlhabende Patrizier zur Zielkäuferschaft gehörte und den Band über die Bezugsquellen des “Goldenen Adler” oder im “Wachsamen Hund” zu kaufen in der Lage war. Zur Finanzierung der prächtigen Foliobände bot sie ihre Dosen mit Krokodilen und anderen Tierchen an und übernahm eine umfangreiche Auftragsarbeit. Für eine deutsche Ausgabe allerdings reichte ihr Kapital nicht aus und so kam es nie zu einem Druck in der Sprache ihres Heimatlandes.
Das Leben und Werk der Maria Sibylla Merian war außergewöhnlich, besonders fruchtbar und ist von herausragender Qualität, und man möchte eigentlich mehr über ihre Blumen- und Raupenbücher, ihre Kindheit in Frankfurt, ihr Leben in Nürnberg und als Pietistin auf Schloss Waltha, ihre gescheiterte Ehe, ihre Geldnot, den Verkauf der Kupferplatten nach ihrem Tod, die Hindernisse für künstlerisch tätige Frauen, die Geschichte der naturwissenschaftlichen Abbildung oder über den Nutzen der Maniokpflanze erfahren.
Wir empfehlen deshalb die Lektüre einer der vielen Publikationen, den Besuch in der Ausstellung im Frankfurter Städel und natürlich des Antiquariats “Tresor am Römer”, wo wir etwa 30 handkolorierte Blätter aus den “Metamorphosis insectorum Surinamensium” und “De europische Insecten” anbieten können; eine Auswahl unseres Angebot folgt hier. (nns.)
Weitere Blätter finden Sie in unserem Grafik-Angebot:
http://www.tresor-am-roemer.de/dekorative-graphik.html
Literatur:
Kühn, Dieter, Frau Merian!, Frankfurt, 2002
Schmidt-Loske, Katharina, Die Tierwelt der Maria Sibylla Merian, Marburg, 2007
Wettengl, Kurt (Hrsg.), Maria Sibylla Merian, Ostfildern, 1997
Die zarte Muse Klio im Reisegepäck deutscher Italienbummler
Die Blätter, die Wolken, das Haar, der helle Stoff, der Klio bekleidet, bewegen sich in einem lauen und leichten Sommerwind, dessen nicht zu feuchte Beschaffenheit ideal für einen Italienaufenthalt erscheint.
Das Frontispiz der “Historisch-kritische Nachrichten von Italien …” ist von Christian Gottlieb Geyser (1742 - 1803) mit zarter Hand in die auf der Kupferplatte befindliche Lackschicht radiert worden. Klio, die Muse der Geschichtsschreibung, ist für eine umfangreiche Beschreibung Italiens, nämlich “der Sitten, Regierungsform, Handlung, des Zustandes der Wissenschaften und insonderheit der Werke der Kunst”, als Allegorie herbeigerufen worden, denn nur ihr mag es gegeben sein, gleichermaßen die Antike, Verstand und Sinnlichkeit zu verkörpern. Die Ruinen, die hier - wie bereits üblich in damaligen Darstellungen - von Pflanzenranken bewachsen sind, erscheinen uns in der typischen Geyser’schen Manier wie zärtlich umarmt von der Natur. Es ist ein lieblicher Verfall, der den Leser, Männer und Frauen, zu den gründlichen Aufzeichnungen des Herrn Volkmann führt. In diesem einzigen Stich versammeln sich alle charakteristischen Eigenschaften des Künstlers und Handwerkers C.G.Geyser, die in dem Künstlerlexikon von Thieme-Becker hervorgehoben werden. Geyser, Schüler von Adam Friedrich Oeser, wird hier die Fähigkeit bescheinigt, “sich in die klassizistische Auffassung seines Lehrers einzufühlen”, der wiederum Winkelmann beeinflusst haben möge. Kurz soll hier an die “Gedanken über die Nachahmung der griechischen Werke in der Malerei und Bildhauerkunst” von Winkelmann erinnert werden, die 1755 mit auffälligen Vignetten, skizzenhaft und luftig in der Darstellung eines antiken Motives, von Oeser illustriert worden sind. Genauer und exakter im Detail hat Geyser diese Art der Zeichnung aufgenommen und hat es verstanden, ihr einen “schon von den Zeitgenossen gepriesenen duftigen Schmelz” hinzuzufügen, der “schon früh als originell empfunden wurde”.
Auf den Titelseiten begleiten Vignetten, vermutlich auch von Geyser gestochen, den buchstabenreichen Titel. In der Titelei des ersten Bandes zeigen zwei emsige Putten die Reiseroute auf einer Italienkarte an. Über ihnen sind die in der Fraktur gesetzten Worte stark gesperrt, sicherlich um die luftige Atmosphäre nicht zu behindern. Für Band 2, der die Beschreibung Roms beinhaltet, hat sich der Leipziger Verlag Caspar Fritsch für den Petersdom in ungewöhnlicher Ansicht entschieden. Nicht der Petersplatz, wie gerne verwendet, führt den Betrachter zu der größten päpstlichen Kirche der Welt, sondern Steinbrocken, ein Bäumchen und ein Wasserlauf befinden sich im Vordergrund und betonen das Naturerlebnis, das in der Zeit der Erstausgabe 1771/72 dieses Italienführers zunehmend die Wahrnehmung der Deutschen anregt und hier in diesem Zusammenhang die Macht des Vatikans zu schmälern mag. Der Vulkan im dritten Innentitel bestärkt diesen Eindruck und findet Widerhall in der Einleitung des Verfassers. "Ein Reisender, der feine Empfindung genug hat, um durch die Schönheiten, woran die Natur in Italien so reich ist, und welche die Kunst übertreffen, gerührt zu werden, der trifft in diesem Lande eine Menge von Scenen an, welche ihm die größte Abwechslung bieten."
Die Begeisterung für Italien hat in England in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts eingesetzt und mit Reisebeschreibungen, Reisebriefen und Reiseführern wortreich die obligatorisch werdende Grand Tour begleitet und auch, häufig in’s Deutsche übersetzt (wie z.B. J.Addison “Anmerkungen über verschiedene Theile Italiens”, 1752; P.J. Grosley “Neue Nachrichten oder Anmerkungen über Italien und über die Italiener”, 1766) die Aristokratie Europas euphorisiert. Die beliebte deutsche Reisebeschreibung von J.G. Keyßler ist 1740/41 bei Förster in Hannover erschienen. Nach 30 Jahren wurde es jedoch Zeit, dass die “Neueste(n) Reisen durch Deutschland, Böhmen, Ungarn, die Schweiz, Italien und Lothringen”, die übrigens auch Johann Kaspar Goethe für seine Italienreise benutzte, durch neue Erfahrungen, abweichende Beschreibungen und in anderer Manier abgelöst wurden. Inzwischen wuchs auch das Interesse der neuen Teilnehmer der Bildungsreisen von Deutschland gen Süden und kann gemäß der Forschungen von Ludwig Schudt (Italienreisen im 17. und 18. Jahrhundert, 1959) in den Jahren 1750-1800 auf 230 beziffert werden.
Johann Jakob Volkmann (1732 - 1803), der 1757/58 in Italien lebte und in Rom infolge seiner Betrachtungen von Kunst und Antike auch Winckelmann kennenlernte, beschreibt auf 2.759 Seiten Kunst, Künstler (auch in einem chronologischen Verzeichnis der Maler), Sitten, Regierungen sowie Wissenschaften Italiens kenntnisreich und vor allem gründlich, auch um Irrtümer und Schlampereien seiner Vorgänger auszuräumen. Tatsächlich wird diese Italienbeschreibung als maßgeblich für das endende 18.Jahrhundert bezeichnet und wird sich auch in der Geschmacksbildung deutscher Italienbummler als wirksam gezeigt haben. Doch haben die Reisenden die drei umfangreichen Oktavo-Bände wirklich in ihr Gepäck gezwängt? Nicht nur das. Goethe, der seinen guten und aufmerksamen Volkmann hier und dort in seiner “Italienischen Reise” zitiert und mitunter auch bemängelt, zog die hier angebotene zweite viel vermehrte und durchgehend verbesserte Auflage “während seines Aufenthaltes in Italien fast täglich zu Rate” (R.Zapperi, Das Inkognito Goethes, 1999, S.76). Zudem hat Goethe in dem mitgereisten Exemplar die Bauwerke markiert, die er besichtigt hat. Heute steht dieses Exemplar, das er übrigens von C.L. von Knebel ausgeliehen und wohl nicht zurückgegeben hatte, mit Markierungen und Notizen von Goethes Hand im Archiv in Weimar. Marginal kann hier berichtet werden, dass dank Goethes Aufmerksamkeit die Volkmann’sche Beurteilung über die Müßiggänger Neapels, derer es damals 30-40.000 geben sollte, als Falschmeldung entlarvt werden konnte. Goethe selbst hat sich einen ganzen Tag in Neapel auf die Lauer gelegt, um dem Müßiggang auf die Spur zu kommen, musste jedoch feststellen, dass selbst die Kinder kleinen Betätigungen nachgingen. Doch trotz dieser Abweichung hat Goethe 1787 an Charlotte von Stein dieses Werk von Volkmann als gut, aber auch als trocken beschrieben. Dieser Einschätzung soll hier jedoch entgegengetreten werden, führt das wortreiche Register vor dem Schlagwort “Kirche” doch auch den “Karneval”, “Kastraten” und “Katzen” auf.
Weiterhin als Benutzer der “Historisch-kritische(n) Nachrichten von Italien …” können Wilhelm Heinse, Gotthold Ephraim Lessing, Johann Gottfried Herder und Anna Amalia genannt werden. Die eigensinnige Herzogin, die mit 49 Jahren nach Italien fuhr, um “das schöne, natur- und kunstreiche Land mit eigenem Auge zu sehen und zu genießen” (Anna Amalia an Merck, 6.1.1788), versprach sich von Italien auch eine Verjüngung und beschreibt so die Erwartungen, die bei der neuen Reisegeneration zu dem Bildungsanspruch hinzukamen. Der Blick auf den Kupferstich mit der graziösen Klio im leichten Sommerwind wird diese Vorstellung beleben.
Der gelehrte Johann Jakob Volkmann nutzte den Globus der Muse Klio für weitere Reisen nach Frankreich, Holland, England und Spanien, um später die Erfahrungen niederzuschreiben. Wir schätzen uns glücklich, auf dieser Seite auch “Neueste Reisen durch England, vorzüglich in Absicht auf die Kunstsammlungen, Naturgeschichte, Oekonomie, Manufakturen und Landsitze der Großen.” in der ersten Ausgabe anbieten und die “Nachrichten von Italien” um drei weitere Beschreibungen von Rom, nämlich von Paul Aringhi “Abgebildetes unterirdisches Rom.”, von Filippo de Rossi "Ritratto di Roma antica, nel quale sono figurati ..." und von Bonaventura van Overbeke “Les restes de l’ancienne Rome” ergänzen zu können. Die im oberen Text genannte frühe deutsche Reisebeschreibung von Italien von Johann Georg Keyssler “Neueste Reisen durch Deutschland, Böhmen, Ungarn, die Schweiz, Italien und Lothringen …” soll nicht weniger Beachtung finden und wird im Folgenden näher beschrieben und hier mit den reizvollen Kupferstichen angeboten. (nns.)
VOLKMANN, J(ohann) J(acob). Historisch-kritische Nachrichten von Italien, welche eine Beschreibung dieses Landes der Sitten, Regierungsform, Handlung, des Zustandes der Wissenschaften und insonderheit der Werke der Kunst enthalten. 2. viel vermehrte u. durchgehend verbesserte Aufl. 3 Bände. Leipzig, C.Fritsch, 1777-1778. 8°. Mit gestochenem Frontispiz und 3 gestochenen Titelvignetten. Halbleder der Zeit mit 2 Rückenschildern und leichter Rückenvergoldung, (Rückenschilder von Bd. 1 andersfarbig als von Bd. 2 und 3, etwas berieben, Vordergelenk von Bd. 1 restauriert). € 2.000,00
Slg. Kippenberg 1642; Tresoldi 44; Engelmann 600. - Zweite, stark verbesserte und vermehrte Ausgabe des im 18. Jahrhundert maßgeblichen Italienführers, der auch von Goethe auf dessen Italienreise genutzt wurde. Dieser schrieb 1787 an Charlotte von Stein: " Ich lese jetzt des guten, trocknen Volckmanns zweyten Theil, um mir zu notiren, was ich noch nicht gesehen." (Kippenberg). - "Ein Reisender, der feine Empfindung genug hat, um durch die Schönheiten, woran die Natur in Italien so reich ist, und welche die Kunst übertreffen, gerührt zu werden, der trifft in diesem Lande eine Menge von Scenen an, welche ihm die größte Abwechslung bieten." (Einleitung Bd. 1). - Mehrfach mit privatem Besitzstempel gestempelt, papierbedingt etwas gebräunt, sonst gutes, dekoratives Exemplar.
VOLKMANN, Johann Jacob. Neueste Reisen durch England, vorzüglich in Absicht auf die Kunstsammlungen, Naturgeschichte, Oekonomie, Manufakturen und Landsitze der Großen. Aus den besten Nachrichten und neuern Schriften zusammengetragen. 4 Bände. Leipzig, C.Fritsch, 1781-1782. 8°. Mit 4 (2 wiederholten) Titelvignetten und 1 mehrfach gefalteten teilkolorierten Kupferstichplan, sowie 1 gefalteten Kupferstichkarte. Halbleder der Zeit mit Rückenschildern und Rückenvergoldung, (leicht beschabt, Band 4 mit Wurmfraß an der Seite). € 1.300,00
Erste Ausgabe. - Engelmann I, 373; Schröder VII, 4173, 17. - Volkmann (1732-1803) bereiste nach seinen Studien der Mathematik und des Rechts zuerst Italien und England, später weitere Länder Europas. Nachdem er sich in Leipzig niedergelassen hatte, veröffentlichte er eine Reihe von literarischen und kunsthistorischen Werken, darunter auch seine bekannten Reisewerke. - Mit einem umfangreichen Register in Band 4. - Der Plan mit einer Darstellung Londons, die Karte zeigt England und Wales. - Vor- und Nachsätze leimschattig, Stempel auf Titel verso, Namenseintrag auf Innendeckel.
Nürnbergische Hesperiden –
Johann Christoph Volkamers prächtige Veröffentlichung über die Kultivierung von Zitrusfrüchten
Exemplar aus der Bibliothek des Gottfried Thomasius
Die „Cedro grosso Bondoletto“, eine Zitrusfrucht riesigen Ausmaßes, schwebt, beinahe das gesamte Folio-Blatt einnehmend, über einer Stadtvedute von Nürnberg, deren Türmchen und Häuschen unter dem prallen Zitronat überaus zierlich wirken. Die zahlreichen Dellen der Oberfläche sind sorgfältig mit kräftigen in Kupfer gerissenen Strichen geformt, die Plastizität der Rundungen ausdrücklich betont. Die winzigen Porenlöcher, die die strapazierfähige Schale überziehen und ein grazil flatterndes Schriftband mit dem mächtig klingenden Namen betonen die Masse der Form, die jedoch in ihrer figurativen Eindeutigkeit und somit körperlichen Präsenz die Anlage zu einem barocken Sinnbild hat. Tatsächlich waren und sind die Darstellungen der Zitrussorten in Kombination mit Veduten in dieser Art nicht nur ungewöhnlich, sondern einmalig.
Johann Christoph Volkamer (1644-1720) wurde in eine erst seit zwei Generationen in Nürnberg ansässigen Familie hineingeboren. Er selbst war Kaufmann zuerst und doch mehr als ein Hobby-Botaniker, der den kultivierten Gostenhof als Erbe übernahm und stetig vergrößerte. Seine Geschäfte im inländischen Messinghandel und in der Seidenfabrikation in Rovereto ließen zeitlich und finanziell die intensive Zucht der Zitrusfrüchte sowie das Verfassen und die Herstellung des Prachtwerkes mit barock ausladendem Titel zu:
Nürnbergische Hesperides, oder, Gründliche Beschreibung der edlen Citronat- Citronen- und Pomerantzen-Früchte : wie solche in selbiger und benachbarten Gegend, recht mögen eingesetzt, gewartet, erhalten und fortgebracht werden, samt einer ausführlichen Erzehlung der meisten Sorten, welche theils zu Nürnberg würcklich gewachsen, theils von verschiedenen fremden Orten dahin gebracht worden, auf das accurateste in Kupffer gestochen, in vier Theile eingetheilet und mit nützlichen Anmerckungen erkläret : beneben der Flora, oder curiosen Vorstellung verschiedener raren Blumen samt einer Zugabe etlicher anderer Gewächse, und ausführlichem Bericht, wie eine richtig zutreffende Sonnen-Uhr im Gartenfeld von Bux anzulegen, und die Gärten nach der Perspectiv leichtlich aufzureissen : wie auch einem Bericht von denen in des Authoris Garten stehenden Columnis milliaribus ... / Herausgegeben von J.C.V.
Ab 1695 entstanden die ersten Kupferstiche, 1708 erschien der hier vorliegende 1.Band, noch im gleichen Jahr die zweite Auflage, 1713 die lateinische Ausgabe und 1714 der 2.Band. Im deutschsprachigen Gebiet war es das erste Werk über Zitruspflanzen, in Europa gingen ihm zwei italienische Veröffentlichungen im Jahre 1505 “De hortis Hesperidum …“ von Giovanni Pontano und die von Volkamer häufig erwähnten „Hesperides sive de malorum aureorum cultura et usu …“ von Giovanni Battista Ferrari voraus. Die Orientierung an diesem wissenschaftlichen Werk ist auffällig, wurden doch die Früchte in ähnlicher Manier und mit einem flatternden Schriftband gestochen. In dieser Tradition stehend, zieht der Nürnberger, wie seine italienischen Vorgänger, die Hesperiden heran, jene drei Schwestern der antikischen Mythologie, die die Goldenen Äpfel zu pflegen und zu hüten beauftragt waren und wie es in Nürnberg fortgesetzt wurde. Im Frontispiz bieten die Hüterinnen dem Leser gemeinsam die folgenden 282 S. Seiten dar, die weiteren Teile eröffnen sie einzeln in ebenso aufwendig gestochenen Blättern: Aegle, Hesperthusa und Arethusa bieten die Zitrusfrucht in barockem großzügig gestaltetem Ambiente an. Diese Stiche gehören zu den wenigen Blättern, die vom Kupferstecher oder vom Zeichner – hier Paul Decker – namentlich gekennzeichnet wurden. Mindestens acht haben die Nürnbergische Hesperides illustriert. Neben sorgfältig gestalteten Städteveduten, Gebietskarten, Textillustrationen und Vignetten erregte die Genauigkeit und Vielzahl der einzelnen Prospecte Nürnberger und italienischer Gärten aus der Vogelperspektive Aufsehen. Die Früchte, die naturgetreu dargestellt über den Anlagen schweben, hat Johann Christoph Volkamer mit eigener Hand nach dem Leben fleissig abgezeichnet – so gibt er es in der Vorrede an.
In den Sortenbeschreibungen informiert der Autor über Herkunft, Größe, Gewicht, Anatomie und Geschmack der einzelnen Früchte. So gibt er zu der anfangs bewunderten „Cedro grosso Bondoletto“ u.a. an: … welchen ich hie kürtzlich beschreibe/ und in dem verwichenen 1706ten Jahr aus Italien von dem Gard-See erhalten/ dieser hat gewogen hiesige fünff Pfund/ und war in der Grösse/ wie beygelegte in Kupffer gebrachte Figur weiset/ ist unter allen Citronaten die grösseste Art/ welche in Italien wol zehen und mehr hiesige Pfund wüget/ sie seyn wol etwas ablang/ doch nicht so viel andere/ und werden manche auch wol runder. Die Schelffe ist glatter als bey andern/ doch gleichwol etwas knockericht/ und der Länge nach gefaltzet/ so Ferrarius in Hesperid.pag58. Cutem in longitudinem striatam nennet. Das Fleisch zwischen der Schelffen und dem Marck ist zimlich dick/ dabey nicht gar sauer/ sondern zugleich wie etwas bisamhafftig am Geschmack/ und daher sehr lieblich und angenehm zu essen/ wie er dann/ in dünne Plätze geschnitten/ sehr gerne mit dem Gebratens von den Italiänern genossen wird.
Diese differenzierte Beschreibung lässt staunend erahnen, wie weit die Kultivierung der Zitrusfrüchte in Nürnberg entwickelt war. Hierüber gibt uns ein Beitrag von Jochen Martz Auskunft, der die damalige Anzahl der Gärten auf 360 schätzt, von denen 70% die goldenen Früchte angebaut haben. Die zahlreichen Kaufleute der Stadt waren geschäftlich – wie Volkamer selbst – eng mit Italien verbunden und fanden dort Vorbilder für ihre Gärten. An dieser Hochkultur lässt uns heute noch die Veröffentlichung Johann Christoph Volkamers teilhaben.
Literatur:
Johann Christoph Volkamers „Nürnbergische Hesperides“ von Heinrich Hamann in: „Nürnbergische Hesperiden und Orangenkultur in Franken“, 2011, Petersberg
Funktion und Bedeutung von Volkamers Zitrusbuch von Clemens Alexander Wimmer in: „Nürnbergische Hesperiden und Orangenkultur in Franken“, 2011, Petersberg
Zur Entwicklung der Zitruskultur in Nürnbergs Gärten von Jochen Martz in: „Nürnbergische Hesperiden und Orangenkultur in Franken“, 2011, Petersberg
Nürnberger naturgeschichtliche Malerei im 17. und 18. Jahrhundert von Heidrun Ludwig, 1998, Marburg
Die Vogeldarstellungen des John Gould im 19.Jahrhundert
In den Vogeldarstellungen des Mr. John Gould vereinen sich wissenschaftlicher Forscherdrang des 19.Jahrhunderts sowie künstlerische Raffinesse in entzückendem Farben- und Formenspiel. Wie - so fragt sich der Betrachter, während die beiden Kolibris lebensgroß auf dem Blatt mit schillernden Farben und in bewundernswerter Eleganz eine lüsterne Blüte umwerben - wie ist diese verführerische Verbindung zwischen Wissenschaft und Ästhetik entstanden?
John Gould (1804-1881) gab seit seinem ersten Vogelbuch "A Century of Birds, hitherto unfigured, from the Himalaya Mountains" im Jahr 1832 bis zu seinem Tode insgesamt 21 mehrbändige Titel mit angeblich 30.000 einzelnen illustrierten Blättern heraus. Doch war er nicht nur für die Herausgabe der Bände verantwortlich, sondern er verlegte sie selber und erarbeitete sie wissenschaftlich, die Illustrationen ließ er nach eigenen Skizzen anfertigen und lithografieren.
Es war eine Epoche der Veränderungen, der Unternehmer, der Zeitungsleser, der Societes, der Industrialisierung, des Lärms und Dampfes, des schnellen Reichtums, der jungen inthronisierten Victoria, der Entdecker, der Wissenschaften, kurz: der junge John Gould, der eigentlich Gärtner werden sollte, fand für seine Leidenschaft einen passenden Nährboden und weitere begeisterte Vogelenthusiasten, die Mitarbeiter, Kollegen und Abnehmer seiner Bücher wurden. Da er zu wenig künstlerisches Talent besaß, übte er sich bereits früh im Präparieren von Tieren und konnte mit 21 als bird- and beaststuffer in London beruflich selbstständig werden. Bereits drei Jahre später wurde er im Museum der jüngst gegründeten "Zoological Society of London" auch Kurator und konnte sich großer Aufmerksamkeit erfreuen, als er von George IV. beauftragt wurde, die arme verstorbene, erst zwei Jahre zuvor aus Ägypten eingetroffene und zu jener Zeit auch als cameléopard bezeichnete Giraffe auszustopfen. Als ein Sammler seine Vogelsammlung aus dem Himalaya der "Zoological Society" vermachte, formte sich sein Lebenswerk in seinem ersten Vogelbuch. Er ließ Edward Lear, der damals als Künstler ein Werk mit Papageienlithographien schuf und der später für seine lustigen Nonsense-Books bekannt wurde, seiner Frau Elizabeth Gould die noch junge Technik der Lithographie zeigen. Ihr Stil war nicht ganz so keck wie der von Lear, doch sie setzte die Skizzen ihres Mannes gekonnt um und zeichnete das Vogelkleid in zarten Verläufen auf die schweren Steine, die extra aus Deutschland importiert wurden. "Drawn from Life and on Stone by J.&E. Gould" stand seitdem mit wenigen Ausnahmen, auch Edward Lear hat einige Zeit für John Gould gearbeitet, auf den Vogelblättern. Als Elizabeth 1840, nach dem 19-monatigen Aufenthalt in Australien und dem sechsten Kind viel zu früh starb, wurden Henry Constantine Richter, William Matthew Hart, Josef Wolf und Gabriel Bayfield mit der künstlerischen Umsetzung beauftragt. In Forscherkreisen konnte er Aufmerksamkeit mit der Entdeckung einer neuen Finkengruppe erregen, woraufhin Charles Darwin ihm die wissenschaftlichen Bearbeitung der Vögel für "The Zoology of the Voyage of H.M.S.Beagle" anvertraute.
Bedenkt man die Aussagen zeitgenössischer Besucher des British Museum, in denen den exotischen aber ausgestopften Tierchen ein trauriger Verfall attestiert wurde, so muss man resümieren, dass John Gould den Vögeln durch seine Veröffentlichungen ein würdevolles Andenken geschaffen hat. Und nicht nur das, denn die Lithographien sind Zeugnisse einer Epoche, in der die Naturwissenschaften und die Kunst eine wundervolle Verbindung eingegangen sind. Wer sie vor Augen hat, kann hoffen, durch ihre besondere Schönheit beflügelt zu werden.
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